DER PENSIONIERTE NACHTWÄCHTER (Auszug)

Eine eigenartige Gestalt mit Stange und Laterne tritt auf, singt:

Hört, ihr Leute laßt euch sagen
uns’re Glock` hat acht geschlagen!
Nur acht Seelen sprach Gott los.
Als die Sindflut sich ergoß.

Menschenwachen, kann nichts nützen. Gott muß wachen. Gott muß schützen.
Herr durch deine Güt und Macht,
Schenk uns eine gute Nacht!

Ich gebs zu, ist ein bisschen veraltet, der Song! Aber so bin ich damals nächtens durch Gass und Strass gezogen. Vergangene Zeiten, halt.
Welches Jahr haben wir eigentlich heuer?
2014? Aha!
Dann bin ich am kommenden 21. Dezember seit hundertundsieben Jahren pensioniert, Zwangsrente! Ich werde nicht mehr gebraucht, kein Wunder, bei dieser Manie der Menschen, die Nacht zum Tag zu machen. Es ist so hell überall in den Städten geworden, dass man die Sterne am Himmel fast nicht mehr erkennt. Oder wann habt ihr zum letzten Mal die Milchstrasse gesehen?
Mir ist nicht wohl, mit dieser langen Arbeitslosigkeit. Ich bin auch immer wieder auf die Suche gegangen, nach „einer neuen Herausforderung“. Fast wurde ich bei der Securitas fündig, „hochqualifiziert hätte ich mich engagiert in das Team einfügen können...“
„Kommen Sie doch!“, hiess es.
„Danke für das Vertrauen“ erwiderte ich, und stellte eine winzige Bedingung: ob ich denn dann und wann (jede Stunde am besten) ein Liedchen anstimmen könnte, und sie sagten nein, das könnte die Nachtruhe stören! Welche Ruhe denn stören? Fragte ich? Frage ich noch heute! Und vor allem: Welche Nacht?!

Mein Gesang hat die Menschen in Sicherheit und in Schlaf gewiegt, damals. Ohne meine Refrains wären sie auf Nadeln gelegen! Ruhe stören, dass ich nicht wache! Neinein, Securitas kann mir gestohlen bleiben, schon nur wegen ihrer hässlichen blauen Kostüme, sehen aus wie aufgerüstete Pijamas.
Wie hübsch war meine Kleidung: Schwarz natürlich, wie die Nacht, eine Huldigung an das Dunkle, die schönen Bordüren und Verzierungen, als Nachtarbeiter hat man sich schick zu machen für die Nacht, dass sie dich auch mag, dich gern anschaut, sie muss wissen, dass du Teil von ihr bist, wenn du sie mit deiner Laterne durchschreitest... Ein Nachtwächter liebt die Nacht, er vereinigt sich jedes Mal mit ihr, schichtweise, er bringt nur das Nötigste an Licht in sie hinein und an Gesang, ein Nachtwächter hat keine Angst vor dem Dunkel, es ist sein Element, wie der Fisch im Wasser.

Nur ruhig!
Ich bin euch nicht böse. Ich kann eure Sehnsucht nach Helligkeit und Licht teilweise nachvollziehen. Und auch eure Angst vor der Dunkelheit und der Nacht teilweise. Verstehen kann ich sie nicht, aber nachvollziehen.
Ich möchte an dieser Stelle nur zu bedenken geben, dass der Kampf des Lichtes gegen die Dunkelheit noch nicht gewonnen ist. Das Licht glaubt ja immer noch, es sei schneller als alles andere im lebenden Universum. Aber egal, wie schnell es sich bewegt, die Dunkelheit war schon vorher da, und wartet auf das Licht.

Ich muss zugeben, und ich stehe dazu: ich hab in meiner mehr als ein Jahrhundert währenden Freizeit meine Schwäche für das Dunkle, speziell für die Nacht nicht aufgeben können. Und wenn ich nicht des Nachts durch die Strassen streife, inkognito, auftragslos, auf der Suche nach den wenigen verbliebenen dunklen Winkeln der Stadt, dann sitz ich in meinem Turmkämmerchen (so nenn ich mein lauschiges Kellerloch), und widme mich meinen Studien: welches ist wohl mein Thema? Jawohl: Die Nacht, die finstere, die heilige, die düstere Nacht. Und die Angst der Menschen vor ihrer Schwärze seit Anbeginn.

Ich stelle sie mir vor, die ersten Menschen: Sie kauerten in ihren Höhlen, noch nicht einmal das Feuer hatten sie unter Kontrolle, bibbernd, lauschend, in dauernder Lebensgefahr, sehnten sie sich dunkel und ahnungsvoll nach dem Luxus eines einigermassen scharfen Werkzeugs, eines holprigen Rades, einer funktionierenden Glühbirne, einer Zentralheizung oder einer elektrisch betriebenen Zahnbürste...

Aus BALLVERLUST von Krishan Krone

Xaver wurde entlassen und strandet auf einem menschenleeren Platz mit Betonbank. Dort findet er einen Ball im Abfall

Auf jeden Fall: Ein Ball
Ein Zeichen!
Für eine Umschulung zum Jongleur! Wer wagt gewinnt!

Natürlich wird es am Anfang nicht leicht, aber es werden immer mehr Leute stehen bleiben, weil ich immer besser werde. Und innerhalb einiger Wochen bin ich schon auf - sagen wir – 12.- die Stunde. Das macht bei 8 Stunden am Tag: 96.-, d. h. in der Woche 480.- plus zwei Samstage im Monat, nein drei nein vier und die Sonntage auch noch, also ein Total von Moment 672.-, das macht im Monat immerhin 2688.-. Die Sache macht sich...
Und mit dem ersten Überschuss investiere ich in einen zweiten Ball. Dann seid ihr schon zu zweit! Das bedeutet: Weiterbildung, sprich: mehr Know-how, sprich: höherer Verdienst! Nach gut gerechnet zweieinhalb Monaten ist schon der Dritte Ball fällig. Und so weiter... bis zu fünf sechs sieben Bällen.
Die Mädchen werden aufmerksam...die Medien, mein ich: Schlagzeile: ‚Schafft Lorner es heute mit acht? Sensation: ‚Ludwig’ Van Lorners Neunter. Ball Nummer 10: Wer stoppt Lorner?
Alle kommen sie gerannt! Knie bittet! Monaco ruft! Tokio jubelt! Moskau strahlt! Revuen! Und Tourneen! Und Fernsehshows!

Und von Anfang an Weiterbildung anbieten: Xavers Jonglageschule!
Auf der Managementebene frühzeitig neue Human-Resources rekrutieren. Homepage.
Patent anmelden nicht vergessen: auf alle Tricks, Nummern, den gesamten Know-howBereich.
Aufnahme eigener Fabrikationsstätten. Bälle erstmal, dann andere runde Sachen. „Lorners Runde Sachen“, Ladenkette.
Eigener Zirkus. Vergrösserung in andere Städte. Gründung einer Agentur.
Expandierung ins Spielzeuggeschäft. Filialen in anderen Ländern. Börsengang.... Und natürlich Heissluftballons! Mega-Jonglage mit Heissluftballons. Amerika erobern.

Sponsor bei der WM. Logo auf allen Bällen weltweit, auf Fussbällen, Tennisbällen, Hundebällen, Maskenbällen, Neujahrsbällen, Wasserbällen, Unibällen, Polybällen, Abschlussbällen. Ballauftritte im: Balltikum, auf Bali, auf den Ballearen, Ballsam für den Ballkan, bald in allen Ballungszentren. Gründung einer multinationalen Dachorganisation, einer Balldachinorganisation mit dem Namen GLOWBALLS. Slogan: You need them? We got them: Balls!!! GLOWBALLS!!!